Die Wütenden (2019 – OT: Les Miserables)

Es brennt in den Vorstädten. Schon bei seinem ersten Einsatz spürt der Polizist Stéphane Ruiz (Damien Bonnard), der Neuling in der Einheit für Verbrechensbekämpfung in ‚Montfermeil‘, die Spannungen im Viertel, in dem es immer wieder zu hitzigen Auseinandersetzungen zwischen Gangs und Polizei kommt. Seine erfahrenen Kollegen Chris (Alexis Manenti) und Gwada (Djibril Zonga), mit denen er Streife fährt, haben ihre Methoden den Gesetzen der Straße angepasst. Hier herrschen eigene Regeln, die Kollegen überschreiten selbst die Grenzen des Legalen, sehen sich dabei aber stets im Recht. Als im Viertel ein Löwenbaby, lebendes Maskottchen eines Clan-Chefs, gestohlen wird, droht die Situation zu eskalieren. Bei der versuchten Verhaftung eines jugendlichen Verdächtigen werden die Polizisten mit Hilfe einer Drohne gefilmt. Ihr fragwürdiges Vorgehen droht öffentlich zu werden, und aus den Gesetzeshütern werden plötzlich Gejagte…

„Die Elenden“ von Victor Hugo zählt zu einem der bedeutendsten literarischen Werke der Romantik.

Dass man das Drama über die Armut in Frankreich unter Napoleon und Louis Phillipe heutzutage noch kennt, ist aber vor allem dem Musical „Les Miserables“ von Claude -Michel Schönberg aus dem Jahre 1994 zu verdanken. Dieses wurde bereits 2012 vom Oscar-prämierten Regisseur Tom Hooper verfilmt und auch 2018 vom britischen TV-Sender BBC in Form einer Miniserie adaptiert. Nur ein Jahr später wagte sich der französische Schauspieler und Regisseur Ladj Ly an eine moderne Neuinterpretation.„Die Wütenden“ erzählt die Geschichte des französischen Polizisten Stephane, welcher seinen Dienst bei der BAC in einem neuen Revier antritt. Dieses liegt in den Banlieues von „Montfermeil“, der Gemeinde in der auch Hugos „Die Elenden“ spielte. Das erste Verbrechen, das seiner Streife gemeldet wird, ist der Diebstahl eines Löwenjungens aus einem Zoo, welches von dem dunkelhäutigen Jungen Issa gestohlen wurde. Da die Roma-Gang, welche den Zoo betreibt, die schwarzen Einwohner des Viertels bereits beschuldigt, müssen die Polizisten das Tier so schnell wie möglich zurückbringen, um den bevorstehenden Bandenkrieg zu verhindern.  Auf der Suche nach dem Jungen, wird Stephane mit der Armut und Perspektivenlosigkeit der lokalen Einwohner konfrontiert und muss während des Einsatzes feststellen, dass seine Kollegen des Öfteren den polizeilichen Vorschriften zuwiderhandeln.

Obwohl „Die Wütenden“/“Les Miserables“, 200 Jahre nach dem Original spielt und von anderen Figuren erzählt, schafft er es perfekt die Sozialkritik des Romans von Hugo auf das heutige Frankreich zu übertragen, ohne dabei in Plattitüden zu verfallen. Regisseur Ladj Ly, welcher selbst in „Montfermeil“ aufwuchs, präsentiert in seinem Debütfilm Probleme wie soziale Verwahrlosung oder Polizeigewalt, verzichtet aber auf undifferenziertes Fingerzeigen. Die Polizisten in „die Elenden“ greifen vor allem in Extremsituationen zu unorthodoxen Mitteln und haben ihren Finger zu schnell am Abzug, der Film erinnert den Zuschauer aber stätig an die Gefahr in der sich diese täglich befinden. Einige Bewohner des Viertels bereiten wiederrum den Beamten ein schweres Leben, aufgrund ihrer Situation, kann man gegen diese aber ebenfalls keinen Groll hegen. Der von den Pariser Aufständen von 2005 inspirierte Film zeigt, dass die Bewohner der Banlieus einen Grund haben wütend zu sein, die dort Streife fahrenden Polizisten aber nicht zum Sündenbock degradiert werden sollten. So meinte Ly auch in seiner Dankesrede bei den diesjährigen Cesars, dass nicht „der Andere“ unser Feind sei, sondern die Armut.

Neben der Nuance muss aber auch die Authentizität des Streifens gelobt werden. Der Großteil aller Aufnahmen des Filmes stammen von der Schulter, was die Bilder oft verwackelt und unübersichtlich macht. Dies hilft aber dem Zuschauer darin sich besser in die unübersichtliche Lage des Geschehens hineinzuversetzen und steigert somit den Spannungsgrad der jeweiligen Szenen. Des Weiteren weist die Kameraarbeit überdurchschnittlich viele Zooms auf, was dem Streifen zu einem fast schon dokumentarischen Stil verhilft.  Verfeinert wird das ganze dann noch durch einen exzellenten Schnitt, der vor allem im finalen Polizeieinsatz zur Geltung kommt.  Der Cast kommt ebenfalls ohne jene Schwächen aus. Damien Bonnard welcher bereits eine Nebenrolle in Christopher Nolans „Dunkirk“ verkörperte, überzeugt als Stephane welcher es als der unbescholtene „Neuling“ am leichtesten hat die Sympathie der Zuschauer zu gewinnen. Djebril Zonga und Alexis Manenti brillieren in den Rollen der beiden Kollegen Stephanes. Zong, der den Wortkargen Gwada spielt sorgt vor allem im letzten Drittel, in einem Dialog mit Bonnar, für einen Schauspielerischen Höhepunkt des Filmes, während Manenti in der Rolle des egozentrischen und unberechenbaren Chris voll und ganz aufgeht. Issa Pericas beeindruckt mit der Darstellung seines Namensfetter, vor allem wenn man das Alter des jungen Darstellers bedenkt.

9/10

Fazit

Ladj Ly liefert mit „Die Wütenden“ einen der besten Polizeifilme der letzten Jahre ab. Obwohl es sich bei diesem definitiv um keinen klassischen Actionfilm handelt, treffen einen die Glasflaschen in „Les Miserables“ härter als in nahezu jedem anderen Vertreter seines Genres. Nachdem man nach diesem 100 minütigen Adrenalintrip wieder Luft gefasst hat, dürften die Fragen, die das Oscar-nominierte Drama aufwirft, einen noch lange nach dem Schauen beschäftigen.

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