Superhelden-Geschichte
Dafür dass Marvel-Superhelden im Film eigentlich bis vor zehn Jahren kaum eine ernsthafte Rolle spielten, ist der Aufstieg der Comic-Schmiede in diesem Business um so erstaunlicher. Was 2008 mit „Iron Man“ noch inoffiziell begann, ist mittlerweile ein milliardenschweres Universum mit über zwanzig Filmen und natürlich unzähligen Comic-Reihen.
Überstrahlt wird dieses Universum natürlich durch die „Avengers“-Filme, die sämtliche Handlungsstränge zusammenbringen und unzählige Superhelden zur gleichen Zeit aufbieten. Um so verwunderlicher ist es, dass es bisher kein AAA-Videospiel dazu gab. Am aktuellsten ist dabei noch „Marvel Ultimate Alliance 3“, das auf der Switch aber nur wenig Beachtung fand und auch spielerisch sicherlich nicht das Gelbe vom Ei war.
Nun erschien Anfang September aber endlich die erste Groß-Produktion „Marvel’s Avengers“ für die aktuelle Konsolen-Generation. Dahinter stecken Crystal Dynamics, die für den sehr erfolgreichen „Tomb Raider“-Reboot verantwortlich waren, und Square Enix. Das heißt wir haben einen sehr guten Entwickler, einen Publisher, der weiß was er tut und eine Marke, die seit einem Jahrzehnt popkulturell nicht mehr wegzudenken ist. Da kann doch nichts schief gehen, oder?
Katastrophe am A-Day
Für Avengers-Fan Kamala Khan könnte der Tag nicht aufregender sein. Denn sie ist als Teilnehmerin eines Fanfiction-Wettbewerbs zum A-Day eingeladen worden, einem Event bei dem die Superhelden-Truppe auftritt und Einblick in ihre Arbeit gibt.
Während anfangs noch alles gut läuft und Kamala von einem unvergesslichen Erlebnis ins andere stolpert, geht bei der Präsentation einer neuen Energiequelle aus Terrigenkristallen einiges schief. Der Helicarrier der Avengers stürzt über San Francisco ab und durch den Anschlag mit einem mysteriösen Gas mutieren zahlreiche Menschen zu den sogenannten Inhumans und entwickeln außergewöhnliche Kräfte.
Fünf Jahre später sind die Avengers fast schon vergessen und durch gezielte Propaganda des Konzerns AIM zu den Drahtziehern hinter dem Anschlag gemacht worden. Die damals entstandenen Inhumans haben es außerdem nicht leicht in der Gesellschaft und werden als krank und entartet bezeichnet. Auch Kamala hat damals etwas von dem Gas abbekommen und kann nun nicht nur ihre Gliedmaßen in die Länge strecken und Hände wie Füße anwachsen lassen, sondern sich kurzfristig auch größer machen. Sie ist immer noch der treue Avengers-Fan und versucht das Geheimnis hinter dem Anschlag und dem Verschwinden der Superhelden-Truppe zu lösen.
Auf der Suche
Während in der Berichterstattung vor dem Release vor allem die Multiplayer-Inhalte von „Marvel’s Avengers“ im Mittelpunkt standen, vergass man dabei fast die Kampagne. Diese lässt euch zunächst in die Rolle von Ms. Marvel, also Kamala Khan, schlüpfen und bietet euch in der ersten Stunde fast schon Action-Adventure-mäßiges Gameplay im Stil von „Tomb Raider“ oder „Uncharted“. Dabei absolviert ihr Sprung- und Kletterpassagen, prügelt euch aber regelmäßig auch mit den Schurken der AIM-Gruppierung.
Und genau diese Auseinandersetzungen sind es auch, die euch dann den Rest der knapp 15-stündigen Kampagne beschäftigen werden. Neben einer Taste für einen regulären und einen schweren Angriff und eine Ausweichrolle sowie einen Sprung, verfügt dabei jeder eurer Charaktere über einen Fernangriff. Dazu kommen noch drei Attacken, die ihr über R1, L1 oder gleichzeitiges Drücken der beiden Schultertasten ausführt. Im Fall von Ms. Marvel ist das zum Beispiel ein riesiger Highfive, der die Feinde wegschleudert und die Verwandlung in eine größere Variante mit besserer Reichweite und mehr Kraft. Diese Attacken laden aber nach ihrem Gebrauch erst einmal wieder auf, sollten also taktisch eingesetzt werden.
Im Laufe der Kampagne schaltet ihr weitere Avengers-Mitglieder frei und schlüpft in deren Rolle. So trefft ihr auf Iron Man, Hulk, Thor und Black Widow und könnt mit diesen zusammen die Aufgaben erledigen. Neben Story-Missionen gibt es auch heldenspezifische Aufträge und Nebenmissionen auf der Karte zu finden, außerdem gibt es im Helicarrier Tutorial-Missionen und kleine Eastereggs zu entdecken.
Loot tut gut
Ganz im Stil eines „The Division“ oder „Diablo“ hat „Marvel’s Avengers“ noch einen weiteren Aspekt neben den Kämpfen: das Loot. Denn für erfolgreiche Kämpfe gibt es nicht nur Erfahrungspunkte, die ihr in den ausufernden Skilltree eines jeden Helden investieren könnt, auch verschiedene Objekte werden von den Feinden hinterlassen oder können in entsprechenden Boxen gefunden werden. Wie üblich unterteilen sich diese in Fähigkeitsstufen und der Seltenheit. So könnt ihr die Grundwerte und die Stärke eures Charakters nach und nach verbessern.
Solche Items findet ihr wie schon erwähnt während den Missionen, könnt sie aber auch bei Händlern in den verschiedenen Hubs kaufen. Braucht ihr einen Gegenstand nicht mehr, weil er schwächer ist als der angelegte, könnt ihr ihn einfach in Rohstoffe zerlegen. Mit diesen könnt ihr dann das getragene Item aufbessern und nochmal um ein paar Level steigern.
Auch wenn zahlreiche Ausrüstungsgegenstände auffindbar sind, verändern diese leider nicht die Optik eurer Figur. Zwar gibt es auch verschiedene Outfits für die Helden, aber diese schaltet ihr entweder über Story-Fortschritt frei oder erkauft diese(sehr teuer) im Ingame-Shop. Die dazu nötige Währung findet sich in geringen Mengen in den Level, man kann sie sich aber natürlich auch gegen den Einsatz von Echtgeld kaufen.
Vereinte Avengers
Der Multiplayer-Modus „Avengers Initiative“ empfiehlt sich erst nach dem Durchspielen der Kampagne. Denn zum einen schließt dieser in Sachen Story an den Solo-Modus an, zum anderen seid ihr dann einfach schon besser mit den jeweiligen Moves der einzelnen Figuren vertraut.
In einem Team von bis zu vier Spielerinnen und Spielern wählt ihr aus eurem liebsten Helden aus und erledigt die Aufträge und Missionen zusammen. Wie schon in der Kampagne gilt es hier vor allem böse Buben zu verdreschen, sowohl in Missionsdesign als auch Gegnervielfalt unterscheidet sich der Multiplayer- hier nicht besonders vom Singleplayer-Modus. Der Reiz liegt hier definitiv im Erspielen von besserem Loot, dem Leveln des Charakters und dem gemeinsamen Miteinander. Etwas spannender sind sicherlich die weitläufigeren Warzones mit ihren verschiedenen Zielen, die man so schon aus der Betaphase des Spiels kennt.
Auch während der Story-Kampagne sind übrigens schon einzelne Missionen mit anderen Usern über das Netz spielbar. Hier handelt es sich vor allem um die größeren Aufträge bei denen die CPU normalerweise die anderen Avengers übernimmt.
Licht und Schatten
„Marvel’s Avengers“ sieht man natürlich an, dass es sich hierbei um ein echtes AAA-Spiel handelt. Auch wenn die Charaktermodelle nicht denen des Cinematic Universe entsprechen, sehen diese prima aus, wirken aber vielleicht teilweise ein bißchen zu jung. Die Mimik kommt nicht ganz an den Branchen-Primus Naughty Dog heran, auch die Gesten sind teilweise etwas hölzern geraten. Generell muss man einige der Animationen kritisieren, gerade die Bewegungen von Captain America oder Iron Man wirken in Verbindung mit der teils trägen Steuerung wie aus alten „Resident Evil“-Zeiten. Aber auch das ist extrem abhängig von der gewählten Figur, vor allem Ms. Marvel überzeugte hier mit ihrer flüssigen Steuerung in den Bewegungen und im Kampf. Aber auch mit ihr blieb man hin und wieder blöd in der Umgebung hängen.
Die Welten an sich sind ebenso Licht und Schatten. Mal gibt es wunderschön ausgeleuchtete, detailreiche Level wie den Anfang in San Francisco oder den Helicarrier, dann schmeißt euch das Spiel wieder in einen generischen Labor- oder Wüstenlevel. Davon hängt dann natürlich auch stark die Motivation ab, wie sehr man das jeweilige Gebiet erkunden will.
Auf der Standard-PS4 kämpfte „Marvel’s Avengers“ vor allem in großen Außengebieten in Verbindung mit hohem Gegneraufkommen mit der Framerate und präsentierte sich ganz schön ruckelig. In Zusammenspiel mit der starken Unübersichtlichkeit bei den Kämpfen ist das ganz schön nervig.
Noch ein kurzes Wort zur akustischen Untermalung: während sich die Musik ganz im Stil der Avengers präsentiert und deren Heldentaten episch untermalt, geht auch die deutsche Synchro vollkommen in Ordnung.
FAZIT: Gute Grundideen, lahmes Gameplay
Viele waren ja schon vor dem Release von „Marvel’s Avengers“ skeptisch, ob der zu starke Fokus auf Multiplayer-Missionen wirklich so sinnvoll ist. Doch das Spiel glänzt vor allem erst einmal mit der Kampagne, die zwar frei von Überraschungen bleibt, aber dennoch sehr unterhaltsam geschrieben ist und toll auf den Multiplayer-Modus hinarbeitet. Vor allem die sehr frische Heldin Kamala Khan aka Ms. Marvel tut dem Spiel gut und hebt sich von der altbekannten Truppe ab.
Während also in den ersten Stunden der positive Gesamteindruck vorherrscht, kehrt mit jedem weiteren Kampf die Langeweile ein. Denn egal ob Gegnertypen oder Missionsdesign…viel Abwechslung bietet euch „Marvel’s Avengers“ nicht. Mal müsst ihr einen bestimmten Punkt halten bis Jarvis diesen gehackt hat, mal irgendein anderes Terminal aktivieren. In Sachen Feinden wirft euch das Spiel mal kleinere, mal größere Gegnertypen zum Fraß vor. Mal haben diese einen Schild, andere teleportieren sich und beschießen euch aus der Ferne. Auch die vereinzelt eingestreuten Endgegner sind nicht das Gelbe vom Ei und können alle nach Schema F besiegt werden. Gegen die Ödnis hilft auch das Lootsystem nicht sonderlich, denn letztlich rüstet ihr einfach immer das bessere Objekt aus und zerstört die alten Items. Dann ein Upgrade, fertig. Und wer hat diesen immensen Skilltree zu verantworten?
Während also spielerisch vieles im Argen liegt, ist „Marvel’s Avengers“ technisch ein zweischneidiges Schwert. Neben der Hochglanz-Optik in den Zwischensequenzen und den vielen Details, stören teils hakelige Animationen und Ruckler das Geschehen. Auch seltsame Bugs wie das plötzliche Umschalten in die englische Synchro während des finalen Endgegners trübten den Gesamteindruck.
Langfristig muss man sicherlich schauen, wie die Entwickler den Multiplayer-Modus hegen und pflegen. Nur das Hinzufügen neuer Heldinnen und Helden dürfte hier sicherlich nicht ausreichen, um die Spielerinnen und Spieler am Pad zu halten.
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