Politisch noch korrekt?
Das Videospiele-Jahr 2023 hat sich bisher nicht nur durch einige richtig gute Games bewährt, sondern schon nach wenigen Wochen zwei große Diskussionen ausgelöst. Zum einen ging es hierbei um „Hogwarts Legacy“ und die transfeindlichen Äußerungen von J.K. Rowling, zum anderen um das hier thematisierte „Atomic Heart“. Denn das Spiel stammt von Entwickler Mundfish, der ursprünglich mal in Russland seine Büros hatte. Seit dem Angriffskrieg auf die Ukraine hat man seinen Standort nun aber nach Zypern verlegt und sich obendrein bisher nicht sonderlich deutlich gegenüber der Attacke geäußert. Als wäre das nicht schon komisch genug, wirft man dem Studio eine gewisse Nähe zu regierungsfreundlichen Unternehmen vor.
Das und einige Eastereggs, die durchaus als Ukraine-feindlich gesehen werden können, führte in den vergangenen Tagen zu einer ausgewachsenen Diskussion rund um das Spiel. Unterstützt man mit dem Kauf von „Atomic Heart“ also indirekt auch den Krieg gegen die Ukraine? Darf man solch einen Titel überhaupt testen? Das sind meine Gedanken dazu…
Was war passiert?
Ursprünglich wurde „Atomic Heart“ schon vor fünf Jahren angekündigt, dann aber immer wieder verschoben. Dennoch gefiel der Titel von Beginn an mit seinem interessanten und frischen Setting, dem „BioShock“-ähnlichen Feeling und vor allem der bombastischen, sehr realistischen Grafik.
Die Skepsis bei den Spieler*innen war aber dennoch sehr hoch. Zum einen weil es sich bei Entwickler Mundfish um ein kleines Studio mit kaum vorhandener Erfahrung handelte, zum anderen weil der Titel dann auch mehrere Male verschoben wurde. Auch das Release jetzt im Februar 2023 wurde noch lange Zeit mit einem dicken Fragezeichen von der Community versehen, letztlich kam das Spiel dann aber wirklich vor einigen Tagen auf den Markt.
Auch ich habe mich voller Vorfreude schon vor einigen Wochen um einen Review-Key für die PlayStation5-Version gekümmert, bin nun aber nach einigen Spielstunden und immer mehr Diskussionen im Netz nicht mehr sicher, ob man ruhigen Gewissens einen Test dazu veröffentlichen kann.
Die ersten Stunden
„Atomic Heart“ macht schon in den ersten Minuten klar, dass man es hier mit allerlei sowjetischer Propaganda zu tun bekommt. Ikonische Statuen, die in den Himmel ragen, Hammer und Sichel, die sich eindrucksvoll in einer Halle am Boden spiegeln und ein Sammelsurium an sowjetischem Symbolismus und Propaganda-Plakaten…der feuchte Traum Stalins in bunten Bildern also.
Zugegeben, dieses Extrem ist zunächst nur in der ersten Spielstunde vorhanden und weicht schnell einem eher gewöhnlichen Design der Spielwelt, auch die viele Symbolik ist irgendwann nicht mehr ganz so aufdringlich. Doch es fällt einfach auf und ist in den aktuellen Tagen mit Bezug auf den russischen Angriffskrieg einfach nur schwer auszuhalten.
Zusätzlich dazu erschrecken einen dann Meldungen über vermeintliche Eastereggs im Spiel, die zum Beispiel die Stadt Donezk als Teil der Sowjetunion zeigen. Oder dass Drohnen im Spiel Geranien herumtragen, was durchaus als Bezugnahme auf die von Russland eingesetzten iranischen Kampfdrohnen wahrgenommen werden kann. Diese hören nämlich im Russischen auf den selben Begriff wie die platzierten Blumen.
Die Schweinefleisch-Dosen mit den ukrainischen Nationalflaggen haben sich laut Recherche im Netz als tatsächlich existierende, ältere Marke herausgestellt, die sich das Entwickler-Studio nicht für „Atomic Heart“ ausgedacht hat.
Die vielen Fragezeichen
Wie weiter oben schon erwähnt, hat sich Entwickler Mundfish bis heute nicht klar zum Krieg in der Ukraine geäußert. Auch das Vertuschen der eigenen Herkunft – früher war man in Moskau ansässig – führt dazu, dass man kein gutes Bild vom Studio hat und dessen Glaubwürdigkeit in Frage stellt. Dass man außerdem russische Unternehmen wie GEM Capital auf der Website als Partner aufführt, lässt einen zusätzlich skeptisch werden.
Mittlerweile gibt es auch einen Appell des ukrainischen Ministeriums für Digitales, den Verkauf von „Atomic Heart“ zu stoppen. So soll ein Brief an Sony, Microsoft und Valve dazu führen, dass der Titel nicht weiter verkauft wird und somit vielleicht indirekt auch den Krieg Russlands mitfinanziert.
Doch es gibt durchaus auch positive Aspekte in Verbindung mit „Atomic Heart“ zu berichten. So gab der Komponist Mick Gordon, unter anderem für seine Arbeit an „DOOM“ aber eben auch an diesem Spiel, bekannt, dass er sein Gehalt an das australische Rote Kreuz und deren Ukraine-Aktion gespendet habe. Auch medial wird der Titel durchaus nicht blind behandelt und auf vielen anderen Portalen auch mit einer gewissen Skepsis und vielen begleitenden Artikeln betrachtet. Sicherlich darf man nicht alles in Hell und Dunkel unterteilen, sondern muss die feinen Schattierungen dazwischen beachten.
Weiterhin ist es mir persönlich auch wichtig darauf hinzuweisen, dass auch andere Spiele häufiger mal zu Propaganda-Zwecken missbraucht werden. Sei es der häufig übertriebene US-Pathos oder die einseitige Thematisierung aktueller Konflikte in Shootern, das ist alles recht uncool und hierfür sollte unser Hobby nicht missbraucht werden. Im Falle von „Atomic Heart“ ist es in Verbindung mit dem aktuell leider realen Krieg aber umso wichtiger kritisch hinzuschauen.
Letztlich habe ich dennoch die Hoffnung, das jeder unsere*r Leser*innen sich dazu selbst eine Meinung bilden kann und für sich entscheidet, ob man solch einen Titel wie „Atomic Heart“ zu dieser Zeit beruhigt kaufen und auch spielen kann. Wird es noch einen Test des Shooters auf dvd-forum.at geben? Ehrlich…ich weiß es noch nicht.
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